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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Affen können Gedichte schreiben – wenn sie nur lange genug Zeit haben

Aus mathematischer Sicht können unendlich viele zufällige Ereignisse alles Mögliche hervorbringen – so könnten Affen sogar Shakespeares Werke reproduzieren. Man braucht nur Geduld.
Ein Affe tippt auf einem Computer
Affen weisen zwar eine hohe Intelligenz auf, aber Shakespeares Werke werden sie wohl kaum hervorbringen. Es sei denn, man lässt ihnen unendlich viel Zeit.

Es war eines der skurrilsten Forschungsexperimente der Mathematikgeschichte: 2002 spendierten Forschende der University of Plymouth sechs Schopfmakaken eines Zoos im englischen Devon eine Schreibmaschine. Vom 1. Mai bis zum 22. Juni durften sich die Tiere darauf austoben – die getippten Buchstaben wurden über ein elektrisches Signal an die Fachleute übertragen und gespeichert. Ihr Ziel war es, das »Infinite-Monkey-Theorem« zu testen. Dieser mathematische Satz besagt, dass ein Affe, der wahllos auf einer Tastatur herumtippt, nach unendlich viel Zeit jeden erdenklichen Text hervorbringen wird, unter anderem die Werke von Shakespeare sowie jedes Buch der deutschen Nationalbibliothek.

Aber: Oh Wunder, die Realität sieht anders aus. In der ganzen Zeit brachten die Affen nur ein fünfseitiges Dokument hervor, das fast ausschließlich aus dem Buchstaben »S« besteht. Die Forschenden veröffentlichten das Resultat dennoch als Buch. Zur Verteidigung der sechs Schopfmakaken Elmo, Gum, Heather, Holly, Mistletoe und Rowan kann man zwar sagen, dass sie nicht unendlich viel Zeit zur Verfügung hatten – dennoch war das Ergebnis ernüchternd. Auch mit deutlich mehr Zeit scheint es äußerst fragwürdig, ob die sechs Affen (nichts gegen Elmo, Gum, Heather, Holly, Mistletoe und Rowan!) etwas wirklich Sinnvolles hervorgebracht hätten.

Die Studie hat keineswegs das Infinite-Monkey-Theorem widerlegt. Sie hat aber gezeigt: Affen sind verdammt schlechte Zufallsgeneratoren. Und das Infinite-Monkey-Theorem verdient wahrscheinlich einen passenderen Namen.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Die Bezeichnung verdankt der Satz dem Mathematiker Émile Borel, der die Tiere im Jahr 1913 zur Veranschaulichung seiner wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegung nutzte. Der Hintergrund des Theorems selbst ist jedoch wesentlich älter als Borel. Offenbar tauchte die Frage bereits in der Antike auf, als Marcus Tullius Cicero sich folgende Frage stellte: »Wenn unzählige goldene Schriftzeichen, von denen jedes einen der 21 Buchstaben des Alphabets darstellt, zusammen auf den Boden geworfen würden, könnten sie die ›Annalen‹ des Ennius ergeben. Ich bezweifle aber, dass der Zufall auch nur einen einzigen zu lesenden Vers hervorbringen könnte.« Wie wir heute wissen, lag Cicero damit falsch – zumindest so halb.

Mit welcher Wahrscheinlichkeit erscheint ein bestimmtes Wort?

Das kann man an einem einfachen Beispiel überprüfen. Wie wahrscheinlich ist es, dass man völlig zufällig durch das Drücken von 52 Tasten (nur Groß- und Kleinbuchstaben, keine Zahlen, keine Sonderzeichen) das Wort »Banane« erhält? Wenn man sechsmal hintereinander auf die Tasten drückt, beträgt die Wahrscheinlichkeit (152)6 = 119770609664, was etwa 5 milliardstel Prozent entspricht. Anders ausgedrückt beträgt die Wahrscheinlichkeit, »Banane« nicht zu tippen, 1 − (152)6, was fast eins entspricht. Insgesamt ist es also sehr unwahrscheinlich, das Wort »Banane« zu erhalten, wenn man zufällig sechs Tasten betätigt. Aber was, wenn man länger in die Tasten haut?

Wenn man sieben Tasten drückt, gibt es zwei aufeinanderfolgende Segmente aus sechs Buchstaben, die das gewünschte Wort bilden können. Bei acht Tastenanschlägen gibt es drei Buchstabenketten der Länge sechs und so weiter. Wenn man n-mal zufällig in die Tastatur gehauen hat, entspricht die Wahrscheinlichkeit, dass das Wort »Banane« nirgends in der Zeichenkette auftaucht (1 − (152)6)n−5. Für steigende Werte von n wird es also immer unwahrscheinlicher, dass »Banane« nirgends auftaucht:

n(1 − (152)6)n−5
61 − 5,058...·10-11
10000,99999995…
1 000 0000,99995…
1 000 000 0000,95068…
10 000 000 0000,60302…

Wenn man nun 10 Milliarden Mal zufällig eine Taste auf einer Tastatur drückt, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass das Wort »Banane« irgendwo auftaucht, plötzlich um die 40 Prozent. Je größer n wird, desto dichter rückt die Wahrscheinlichkeit, das Wort »Banane« zu finden, an eins heran. Das Ergebnis gilt natürlich auch für andere Buchstabenfolgen, Wörter oder gar ganze Sätze und Bücher. Das ist das Infinite-Monkey-Theorem, auch wenn die Affen sich offenbar nicht an zufällige Tastenkombinationen halten. Damit hat sich Cicero aus mathematischer Sicht getäuscht.

Das Infinite-Monkey-Theorem in der Praxis

Der Datenanalytiker Ergon Cugler de Moraes Silva von der University of São Paulo wollte 2024 herausfinden, wie lange es durchschnittlich dauern würde, bis man durch Zufall wirklich ein Werk von Shakespeare erhält. Für seine Untersuchung setzte er aber keine Affen ein, sondern einen Pseudozufallsgenerator. Dieser sollte zufällige Buchstaben in Groß- und Kleinschreibung ausspucken, bis der berühmte Satz aus Hamlet »To be or not to be, that is the question« (ohne Komma, aber inklusive Leerzeichen) auftaucht.

Der Forscher ging dafür in mehreren Schritten vor: Zunächst untersuchte er, wie lange es durchschnittlich dauert, bis man »T«, »To«, »To «, »To b« und so weiter findet. Das wiederholte er zehnmal und mittelte dann das Ergebnis. Wie er herausfand, musste sein Programm etwa 60 Buchstaben zufällig erzeugen, bis ein T auftaucht. Für »To« musste der Computer im Mittel schon 3101 Zeichen erzeugen. Und um die ersten beiden Wörter, »To be«, zu finden, musste der Rechner durchschnittlich 345 380 940 Buchstaben generieren und etwa 18 Minuten lang rechnen.

HamletTToToTo bTo be
Zeichen603101159 1748 096 722345 380 940
Zeit0 s0,006 s0,360 s22,355 s1097,5 s

Wie man sieht, wächst die Rechendauer und die Anzahl der benötigten Buchstaben rasant an. Hieraus wird klar, dass sich diese Analyse unmöglich auf den vollständigen Satz »To be or not to be, that is the question« übertragen lässt – der Computer würde womöglich bis zum Ende der Menschheit (wenn er denn so lange funktionsfähig ist) weiterrechnen, ohne den Satz einmal zufällig erzeugt zu haben. Daher hat Silva in einem zweiten Schritt ein Programm genutzt, das anhand der zuvor bestimmten Daten extrapoliert, wie die Anzahl der benötigten Zeichen und der Rechenzeit steigt, um den gesamten Satz zu erzeugen.

Wie Silvas Berechnung zeigt, bräuchte man extrem viel Geduld, bis »To be or not to be, that is the question« auftaucht: Es müssten etwa 2,68·1069 Buchstaben erzeugt werden, was etwa 2,68·1066 Sekunden oder 9·1055 Jahre dauern würde. Da unser Universum schätzungsweise 13,8 Milliarden Jahre alt ist, müsste man also mehr als 1045-mal so lange warten, wie Zeit vom Urknall bis heute vergangen ist. Und das alles nur, um einen einzigen Satz aus Hamlet zufällig zu erzeugen. Insofern hatte Cicero also doch irgendwie Recht: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Zufall nach endlicher Zeit auch nur einen einzigen zu lesenden Vers eines Gedichts – oder sonst irgendeines Textes – hervorbringen wird.

Sie haben auch ein Lieblingsthema zu Mathematik und würden gerne mehr darüber in dieser Kolumne lesen? Dann schreiben Sie es mir gerne in die Kommentare!

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