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Ästhetische Wahrnehmung: Unmoral hemmt Kunstgenuss

Der Maler war offenbar ein Scheusal? Kein Wunder, dass mir sein Bild nicht gefällt!
Junge Frau betrachtet ein Bild in einer Kunstausstellung
Ob das Bild schön ist oder nicht, verrät dir das Gerücht.

Wie Kunst auf uns wirkt, hängt auch vom Wissen über den Urheber ab. Ist dieser etwa eines moralischen Vergehens verdächtig, fällt die ästhetische Wirkung seines Werks schwächer aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Psychologinnen Hannah Kaube und Rasha Abdel Rahman von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Das Forschungsteam hatte Studierenden Bilder von Kunstwerken zur Bewertung vorgelegt, zu denen verschiedene Informationen mitgeliefert wurden. Darunter war beispielsweise ein surrealistischer Frauenakt des Spaniers Salvador Dalí sowie ein vergleichbares Bild, das dem (fiktiven) Maler Santino Martí zugeschrieben wurde. Auf diese Weise sollten sich die bewusst ähnlich gewählten Künstlernamen nur hinsichtlich ihrer Bekanntheit unterscheiden. Zudem waren in den biografischen Hintergrundinfos zu den Malern mal neutrale Details und mal unmoralische Handlungen enthalten. So hieß es etwa über Dalí entweder, er sei verheiratet gewesen, oder aber, er habe Frauen sexuell genötigt.

Die Probanden sollten nach jedem präsentierten Bild drei Dinge beurteilen: Wie gut gefiel es ihnen? Wie aufregend fanden sie es? Und wie künstlerisch wertvoll erschien ihnen das Bild? In einer zweiten Testreihe wurden zusätzlich die elektrischen Hirnströme per EEG gemessen.

Erregung hui, Ästhetik pfui

Wie sich zeigte, sackten sowohl das persönliche Gefallen als auch der vermutete künstlerische Wert unter dem Eindruck der Untat deutlich ab, das Erregungslevel hingegen stieg. Dieser Effekt war bei den berühmten Künstlern nur hinsichtlich der künstlerischen Qualität schwächer ausgeprägt. Vielleicht weil die Teilnehmenden implizit annahmen, bei einem so großen Namen müsse doch etwas an dem Werk »dran sein«.

Die gemessenen EEG-Kurven offenbarten, dass die negativen Informationen vor allem bei den bekannten Künstlern bereits nach 110 bis 160 Millisekunden zu einem größeren Ausschlag einer Hirnstromkomponente namens P1 führten. Die visuelle Verarbeitung unterschied sich also schon in dieser sehr frühen Phase, je nachdem, was die Betrachter über den Künstler wussten.

Die Resultate stützen die Annahme, dass Menschen auf Werke »verdächtiger« Künstler weniger ansprechen. Offenbar kann etwa der biografische Hintergrund durch so genannte Top-down-Prozesse bereits die Aktivität auf frühen Wahrnehmungsstufen modulieren.

Das erscheint vor dem Hintergrund von Debatten um mutmaßlich übergriffige Regisseure wie Roman Polanski oder Dieter Wedel, pädophile Musiker wie Michael Jackson oder andere Kunstschaffende bedeutsam. Wenn sich die Befunde erhärten, führen nicht bloß nachträgliche Bewertungen, sondern bereits grundlegende Modulationen in der Sinnesverarbeitung dazu, dass Werke umstrittener Künstler schlechter ankommen. Anscheinend kann ein moralischer Wahrnehmungsfilter den Kunstgenuss trüben. Wie bei solchen Studien üblich, klärte man die Probanden übrigens im anschließenden Debriefing darüber auf, dass die bösen Gerüchte über Dalí und Kollegen nur für das Experiment erfunden worden waren.

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  • Quellen
Kaube, H., Abdel Rahman, R.: Art perception is affected by negative knowledge about famous and unknown artists. Scientific Reports 14, 2024

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