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Ghosting: Plötzlich unsichtbar

Bequemlichkeit, Selbstschutz, Meinungsverschiedenheiten: Ghosting kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Für die Opfer kann das unerwartete Verschwinden sehr belastend sein – möglicherweise leiden aber auch die Täter unter ihrem Verhalten.
Eine Frau, im Hintergrund verschwommen, schaut auf ihr Handy
Dating-Apps verleiten dazu, andere Nutzer als Ware statt als Menschen anzusehen. (Symbolbild)

Partnersuche im digitalen Zeitalter: Man chattet, trifft sich per Videoanruf oder auch mal ganz altmodisch im Café, hat vielleicht gerade sogar Händchen gehalten – und dann auf einmal … nichts mehr. Eine solche plötzliche Funkstille tritt in der modernen Onlinewelt sozialer Beziehungen häufig auf. »Unter Ghosting versteht man, dass sich eine Person, mit der man eine Beziehung hat, vom einen auf den anderen Moment nicht mehr meldet«, sagt der Kommunikationswissenschaftler und Psychologe Jörg Matthes von der Universität Wien. »So, als wäre diese Person ein Geist geworden. Es geht dabei ums dauerhafte Nichtreagieren.« Wenn man mal nicht ans Telefon geht, ist das noch kein Ghosting. In der Regel unterscheidet man zwischen dem Täter, dem so genannten »Ghoster«, und dem Ghosting-Opfer, also der Person, die ohne Angabe von Gründen zum Beispiel auf einer Online-Plattform blockiert wurde.

Der Begriff »Ghosting« (von englisch ghost = Gespenst, Geist) ist zwar relativ neu – doch gilt das auch für das dahintersteckende Verhalten? Schließlich haben Menschen ja bereits in Zeiten vor digitalen Medien, Dating-Apps und Facebook Kontakte abgebrochen und sich etwa am Telefon oder bei einem Anruf des Partners oder einer Freundin verleugnen lassen. »Natürlich hat es früher schon Situationen gegeben, in denen sich eine Person einfach nicht mehr gemeldet hat«, so Jörg Matthes. Aber es gebe einen wesentlichen Unterschied zu heute. »In den sozialen Medien ist man theoretisch rund um die Uhr erreichbar.« Die Konsequenz: Wenn man heute von jemandem ignoriert wird, merkt man das sehr schnell – ein »massiver psychologischer Schritt«, so Matthes. Früher konnte man noch davon ausgehen, dass etwas dazwischengekommen ist und man deshalb keine Antwort erhält. Das ist heute schwer denkbar. »Man weiß, dass der andere unsere Nachricht gelesen hat und bewusst nicht antwortet. Zumindest eine kurze Antwort, so die Erwartungshaltung, ist immer möglich.«

Mit einem Klick blockiert

Schon Anfang der 1980er Jahre berichtete die inzwischen emeritierte Kommunikationswissenschaftlerin Leslie Baxter, dass Vermeidung eine gängige Strategie ist, um Beziehungen zu beenden. Besonders häufig kommt sie zum Einsatz, wenn die Menschen in der Beziehung einander nicht sehr nahe sind. Die modernen digitalen Plattformen vereinfachen den Rückzug enorm: Mit einem Klick auf »Blockieren« oder »Unmatch« ist der andere verschwunden. Zudem fördern Apps wie Tinder, in denen man die Fotos potenzieller Partner (»Matches«) nach rechts oder links wischt – je nachdem, ob sie einem gefallen oder nicht –, die Vorstellung, andere seien Ware und keine Menschen. Das kann zu einer größeren emotionalen Distanz führen und dazu, dass man weniger in Beziehungen investiert.

Die modernen digitalen Plattformen vereinfachen den Rückzug enorm

In einer Studie von 2019 befragte ein Team um Leah LeFebvre von der University of Alabama in Tuscaloosa, ebenfalls Kommunikationswissenschaftlerin, fast 100 Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren. Alle hatten schon Erfahrungen mit Ghosting gemacht, waren bereits Täter, Opfer oder beides gewesen. Da es sich um eine qualitative Untersuchung handelte, führten die Wissenschaftler keine statistischen Berechnungen durch. Vielmehr ging es ihnen darum, den individuellen Beschreibungen möglichst viel Raum zu geben. Neben geschlossenen Fragen stellten sie ihren Probandinnen und Probanden auch offene Fragen, die diese frei beantworten konnten. Die meisten bisherigen Studien zu Ghosting beruhen auf vergleichbaren Methoden.

Einfacher als ein Gespräch

LeFebvre und ihre Kollegen und Kolleginnen wollten unter anderem wissen, warum die Befragten beschlossen hatten, sich für eine andere Person in Luft aufzulösen. Ein zentraler Punkt war Bequemlichkeit. So erklärte beispielsweise ein 18-Jähriger: »Ich wollte eine Möglichkeit, die Beziehung zu beenden, die nichts mit einem persönlichen Gespräch zu tun hat. Auf diese Weise war es einfacher.« Fühlten sich die Teilnehmer nicht ausreichend zu jemandem hingezogen, brachen sie ebenfalls häufig den Kontakt ab. Gerade in größeren Städten ist die Konkurrenz auf den digitalen Plattformen groß. Man sieht das Foto von jemand anderem, der einem besser gefällt, und hört auf, seinem vorherigen Match zu schreiben. Ein weiterer Grund, der in der Studie genannt wurde: Das Ghosting-Opfer hat etwas gesagt oder getan, was beim Ghoster für Ärger oder Frustration gesorgt hat. Das Verschwinden ist also auch eine Strategie, um einen unangenehmen Austausch zu vermeiden.

Ob Ghosting als legitime Exit-Strategie angesehen wurde oder nicht, hing teils davon ab, wie lange die Beziehung schon andauerte. Hatten zwei Menschen nur kurz miteinander kommuniziert, war es aus Sicht einiger Ghoster nicht notwendig, sich formell zu »trennen«.

Rücksichtslos und egoistisch?

Wer digital spurlos verschwindet, wird von Seiten der Opfer schnell als rücksichtslos und egoistisch angesehen. Doch die Studie von LeFebvre ergab auch, dass Selbstschutz eine Rolle spielen kann. Manche befürchteten etwa, die andere Person könne bei einem persönlichen Gespräch ausflippen. Und es gibt Ghoster, die nicht sich, sondern die andere Person schützen wollen. Das zeigte eine Studie eines Teams um die klinische Psychologin Elisabeth Timmermans von der niederländischen Erasmus-Universität Rotterdam. Für die Untersuchung wurden mehr als 330 Personen interviewt, die online nach einem Partner oder einer Partnerin suchten. Einige der im Schnitt 30 Jahre alten Befragten gaben an, ihr digitales Gegenüber nicht verletzten zu wollen, indem sie es verbal zurückwiesen. Ihrem Empfinden nach waren klare Worte schmerzhafter als gar keine Worte.

Die Studie von Timmermans offenbarte sehr unterschiedliche Motive fürs Ghosten. Oft gaben die Ghoster der anderen Person die Schuld: Die Opfer seien etwa aufdringlich, respektlos oder rassistisch gewesen, hätten wichtige Informationen zurückgehalten oder unaufgefordert sexuelle Inhalte geschickt. Manche gaben an, sie hätten ihrem Match erklärt, dass sie bestimmtes Verhalten unangemessen fänden oder keinen Kontakt mehr wünschten. Wurde das nicht akzeptiert, lösten sie das Problem durch Ghosting. Andere wurden durch die Anonymität der App dazu verleitet, einfach zu verschwinden.

Timmermans und ihr Team suchten in den Daten auch nach statistischen Zusammenhängen. Sie wollten klären, ob Menschen, die häufig auf Dating-Plattformen unterwegs sind, sich anders verhalten als solche, die dort nur selten aktiv sind. Dabei offenbarte sich ein interessanter Zusammenhang: Je öfter die Befragten eine App verwendeten, desto weniger neigten sie zum Ghosting. Die Erklärung der Wissenschaftler: Vielnutzer machen häufiger negative Erfahrungen und werden deshalb selektiver. Indem sie weniger Profilen ein »Like« geben, vermeiden sie den Kontakt mit Menschen, die ihnen nur mäßig gefallen und die sie vielleicht bald ghosten würden. Außerdem zeigte sich, dass Männer und Frauen gleich häufig ghosteten. Allerdings machte das Alter einen Unterschied: Je jünger die Nutzer, desto häufiger ghosteten sie.

Zu viele Nachrichten

Wer mit zahlreichen Menschen gleichzeitig digital im Kontakt ist, könnte dadurch überfordert sein und daher eher zum Ghosten neigen. Dieser Idee ist Jörg Matthes mit seinen Kollegen nachgegangen. Im Rahmen einer 2023 veröffentlichten Langzeitstudie haben die Wissenschaftler mehr als 400 Personen im Alter von 16 bis 21 Jahren befragt. Dabei gaben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, ob sie mehr Nachrichten bekamen, als sie verkraften konnten. Ergebnis: Wer sich durch große Mengen an Nachrichten »kommunikativ überlastet« fühlte, neigte dazu, den Partner oder die Partnerin zu ghosten, nicht aber Freunde. Matthes vermutet, dass romantische Beziehungen eine intensivere Kommunikation erfordern als Freundschaften, was zu einem Ressourcenkonflikt führen könnte, bei dem die Liebschaften den Kürzeren ziehen. Dieses Muster zeigte sich interessanterweise aber nicht bei allen Probanden. Besonders selbstbewusste Menschen ghosteten eher ihre Freunde, wenn sie sehr viele Nachrichten bekamen, während bei ihnen kein signifikanter Zusammenhang zwischen »kommunikativer Überlastung« und dem Ghosten romantischer Partner bestand.

In einer weiteren Studie mit mehr als 300 Teilnehmern nahm ein Team um den Psychologen Peter Jonason von der Universität Padua in Italien drei als Dunkle Triade bekannte Persönlichkeitsmerkmale unter die Lupe und fand heraus: Menschen, die zum Ghosten neigen, sind tendenziell eher machiavellistisch oder psychopathisch veranlagt, jedoch nicht narzisstischer als der Durchschnitt. Die statistischen Zusammenhänge waren insgesamt aber gering.

Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass jemand für eine andere Person zum »Geist« wird. Was sind die Folgen – nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter? »Der Ghoster möchte oft etwas umgehen, was für ihn unangenehm ist«, erklärt Jörg Matthes. Doch offenbar tut er sich damit nicht immer Gutes.

Ein Bumerang-Effekt

Matthes stieß in seiner Untersuchung auf etwas Überraschendes: Das Ghosten von Freunden sagte depressive Tendenzen vorher. Ihm zufolge könnte das daran liegen, dass die Täter ihr Bedürfnis nach Beziehungen nicht ausreichend deckten, da sie des Öfteren von der Bildfläche verschwanden. »Ghosting kann dann wie bei einem Bumerang-Effekt auf einen selbst zurückfallen«, erläutert er.

Nun ist es eine Sache, Täter zu sein. Ganz anders fühlt es sich für die Opfer an. In der oben beschriebenen Studie hat Elisabeth Timmermans ihre Freiwilligen auch gefragt, wie es sich anfühlt, geghostet zu werden. Wenig überraschend waren viele Befragte traurig, wütend, enttäuscht oder verletzt. Manche schämten sich sogar. Ein 25-Jähriger äußerte sich so: »Ich wollte so sehr an Online-Dating glauben, aber ich fange an, es wieder und wieder in Frage zu stellen. Ich denke, die Menschen müssten mehr darüber aufgeklärt werden. Es ruiniert unsere menschlichen Beziehungen.« Nicht alle Befragten merkten sofort, dass sie Ghosting-Opfer geworden waren. Manche sorgten sich, der anderen Person könne etwas zugestoßen sein.

Bei fast der Hälfte aller Frauen und Männer machten sich Folgen bemerkbar – sie erwähnten zum Beispiel vermindertes Selbstwertgefühl und Misstrauen. Eine kleine Minderheit berichtete sogar von Depressionen und Panikattacken. Ein Team um den Erziehungswissenschaftler Hermann Astleitner von der Paris-Lodron-Universität Salzburg fand ganz Ähnliches heraus: In einer 2023 veröffentlichten Online-Umfrage von fast 1000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen hingen Ghosting-Erfahrungen mit einer schlechteren psychischen Gesundheit zusammen.

Gedemütigt und ohnmächtig

»Für die Opfer von Ghosting gibt es eine ganze Reihe negativer Auswirkungen«, erklärt Jörg Matthes. Das Gefühl, abgelehnt zu werden, treffe die meisten Menschen in ihrem Innersten. Außerdem fühlten sie sich gedemütigt und ohnmächtig, weil sie nichts tun könnten. »Als soziale Wesen sind wir abhängig vom sozialen Feedback unserer Mitmenschen«, sagt Matthes. Unmittelbare Konsequenzen der empfundenen Ablehnung seien ein geringeres Selbstwertgefühl und depressive Verstimmung. Mit der Zeit könne Ghosting zu Misstrauen gegenüber allen künftigen sozialen Beziehungen führen.

»Grundsätzlich ist Ghosting für alle Menschen etwas Negatives, weil wir ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung haben«Jörg Matthes, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler

Ghosting trifft Menschen unterschiedlich hart. Elisabeth Timmermans stellte in ihrer Studie fest: Je häufiger Menschen geghostet wurden oder je länger der Kontakt angedauert hatte, der dann durch Ghosting beendet wurde, desto schmerzhafter war die Erfahrung. Schwer verdaulich war Ghosting auch, wenn man sich persönlich getroffen hatte und das Ende des Kontakts völlig unerwartet kam.

»Grundsätzlich ist Ghosting für alle Menschen etwas Negatives, weil wir ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung haben«, so Matthes. Im Umgang mit Ablehnung gibt es jedoch Unterschiede. Manche sind eher enttäuscht, andere vor allem wütend. In der Forschung unterscheidet man zwischen funktionalen und dysfunktionalen Coping-Strategien, also Wegen, mit der belastenden Situation umzugehen. »Dysfunktional ist es, sich weiter an der Vergangenheit zu orientieren und nicht loszulassen, die andere Person etwa weiter in den sozialen Medien zu beobachten und die eigenen Gedanken ständig um den Verlust kreisen zu lassen.« Funktional und psychologisch hilfreicher sei es, sich auf die Zukunft zu konzentrieren, etwa indem man sich neuen Themen und Menschen zuwendet und versucht, die Trennung zu akzeptieren. In Timmermans Studie hat sich gezeigt: Betroffen hilft es, sich klarzumachen, dass Ghosting nichts mit ihnen zu tun hat und eine ganz normale Erfahrung beim Online-Dating ist. Es ist unmöglich, sich vor Ghosting schützen, gerade weil es ja fast immer überraschend kommt. »Aber man kann versuchen, sich nicht in einen Strudel negativer Gedanken und Emotionen ziehen zu lassen.«

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  • Quellen

Astleitner, H. et al.: The effects of personality and social media experiences on mental health: Examining the mediating role of fear of missing out, ghosting, and vaguebooking. Computers in Human Behavior 138, 2023

Forrai, M. et al.: Short-sighted ghosts. Psychological antecedents and consequences of ghosting others within emerging adults’ romantic relationships and friendships. Telematics and Informatics 80, 2023

LeFebvre L. E. et al.: Ghosting in emerging adults’ romantic relationships: the digital dissolution disappearance strategy. Imagination, Cognition and Personality 30, 2019

Timmermans E. et al.: Gone with the wind: exploring mobile daters’ ghosting experiences. Journal of Social and Personal Relationships 38, 2021

Johanson P. K. et al.: Leaving without a word: Ghosting and the dark triad traits. Acta Psychologica, 220, 2021

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